1806 – 1882
Januar König
Frost
Eiskönig Frost wölbt die
kristall’nen Brücken
Und schlägt den Rhein, den
frei’sten Strom, in Ketten;
Das Leben muß sich in die
Tiefe retten,
Weil Lasten Eis die mächt’ge
Woge drücken.
Unwillig beugt der Riese
seinen Rücken
Und wühlt sich tief in seine
tiefsten Betten;
Da läutet Frühling seine
Ostermetten,
Will Erde fei’n und mit dem
Brautkranz schmücken.
Horcht wohl der Alte auf des
Freier’s Klänge?
Er hebt das Haupt und bricht
des Kerkers Enge,
Wälzt Riesenschollen
schmetternd im Gedränge.
Frei wallt er hin und wirft
das Eis zu Rande,
Wogt majestätisch groß durch
seine Lande.
Und du, sein Volk, trügst Bande
noch und Schande?
Februar Vorgefühl
Ein tiefes Sehnen geht durch
die Natur
In dieser ersten
Frühlingsstürme Schauern,
Nach langem starren öden
Wintertrauern
Fühlt Freiheitsdürsten alle
Creatur.
Der Thauwind haucht erlösend
auf die Flur
Und Eis und Schnee kann länger
nicht mehr dauern,
Die Menschen lockt er aus den
dunklen Mauern
Und weckt vom neuen Grün die
erste Spur.
Die Himmelsboten kehren
singend wieder
Und Hoffnung, Glaube, Liebe
wieder blüh’n,
Die Herzen ziehen aufwärts
Lerchenlieder!
Lenz, laß uns Kinder, frohe
Kinder werden,
Vergessen sei das thörichte
Bemüh’n
Und Fried’ und Wohlgefallen
nur auf Erden!
März Nachtfrost
Wie lieblich locken laue
Frühlingswinde,
Bis rings vom langen
Winterschlaf erwacht,
Allüberall bricht auf mit voller
Macht
Der Blüten Heer, des Lenzen
Ingesinde.
Der dürre Ast kränzt sich mit
Laubgewinde
Aus hellem Grün glüht aller
Farben Pracht,
Das hat des Frühlings
Zaubermacht vollbracht,
So schmeichelnd süß, so
lebenweckend linde.
Der Himmel schaut entzückt auf
seine Erde
Und sendet Strahlenküsse
liebevoll,
Da regt der Neid des Alten
Winters Groll.
Sein Nachtfrost schleicht sich
tückisch durch das „Werde“.
Die armen Blüten zittern und
erbleichen,
Der Morgen schaut auf
Millionen Leichen.
Mai Armer Mai
Du armer Mai, in rauhen
Sturmeswettern,
Gleichst Romeo’s und Julia’s
Geschick –
Ein einzig wonnevoller
Augenblick,
Den Schicksalsstürme
grauenvoll umschmettern.
Kaum kränzt der Baum mit
Blüten sich und Blättern,
Kaum kündet milde Sonne
Lenzesglück,
Kehrt schon des Winters
Tyrannei zurück,
Die Sänger flieh’n mit allen
Liebesgöttern.
Die Blüten sterben, ach zu
früh erschlossen,
Ihr Duft verweht umsonst so
süß ergossen,
Wie Liebe unerwiedert,
ungenossen.
Lieblose Welt, soll dich denn
nichts verschönen,
Verklären nicht mehr Blühen,
Duften, Tönen,
Kann nur der Tod, grausame,
dich versöhnen?
Von allen Rosen mir die
liebste Rose,
Wie tausendfältig deine Art
auch blüht,
Du, die mein Auge mit
Entzücken sieht,
Geheimnißvolle du, im dunklen
Moose.
Wenn du den Kelch
erschließest, makellose,
Der tief im Purpur holder
scham erglüht,
Allmächt’ger Zauber, der zu
dir mich zieht,
Daß ich in deinem Duft mich
trunken kose.
Du Herzenspfand zu süßem
Liebeslohne,
Bräutlicher Wonne
Hundertblätterkrone,
Der Blumen Königin auf grünem
Throne.
Preis deinem ewig unerreichten
Ruhme,
Du Weihrauchspenderin im
Heiligthume,
Lenzhohepriesterin, der Liebe
Blume!
Du unschuldreine, hohe, weiße
Lilie,
Nur deinen Schöpfer willst du
heilig loben,
Den Blick zum Himmel gläubig
aufgehoben,
Mondbleiche Nonne in der
Lenzvigilie.
In Andacht ganz versunkene
Cäcilie,
Fort von der Erde wüstem Kampf
und Toben,
Ziehst du mein Herz
sehnsüchtig mit nach oben,
Das nur zu eitle, ach, zu
sündenwill’ge.
Dein weißes Kleid sinkt unbefleckt
zur erde
Nach wenig Tagen kurzer Blüte
nur,
Wenn Nachtsturm deine Blätter
bald verweht.
Du siehst den Tod mit
lächelnder Geberde,
Und fandest hier des ew’gen
Lebens Spur,
Hast erdenlust für himmelsruh’
verschmäht!
Juni Mars
„Das ist der Mars, der jetzt
am Himmel steht,
Ganz feuerroth in düstern
Flammen funkelt
Und alle Sterne ringsumher
verdunkelt,
Er ist’s, der Zwietracht in
die Herzen sät!
Denn Krieg bedeutet’s, wie die
Rede geht,
Von großer Fehde wird schon
viel gemunkelt
Und alter Feindschaft Faden
abgekunkelt,
Bewahr uns Gott in Gnaden eh’s
zu spät!“
Ihr blöden Thoren! Nicht des
Himmels Sterne,
Die friedlichen, erzeugen Haß
und Streit
Und drängen Menschen je zum
Brudermord!
Im Herzen sucht, nicht in des
Himmels Ferne,
Die schönen Flammen, euch zum
Fluch bereit;
Und wollt ihr Frieden, so
verlöscht sie dort!
Juli Glück oder Unglück
Du wolltest mit gemütlichem
Behagen
Am Rest der Tage harmlos dich
erfreun,
In einem stillen Paradies,
dich weih’n
Der Musen Gunst in holden
Feiertagen.
Da hat ein Blitz das
Felsenhaupt zerschlagen,
Wälzt in dein Eden dir den
klotz’gen Stein,
Zerschmettert deiner Blumen
bunten Schein,
Nichts hilft dein Jammern,
dein verloren Klagen.
Ermanne dich und trotze dem
Geschick;
Es will dein Gott dir neue
Kraft erwecken
Und was du Unglück nanntest
wird dein Glück!
Des Schicksals Tücke macht
dein Muth zu Spott
Und höchster Preis wird in dem
Steinblock stecken;
Auf! meißle flugs den plumpen
Gast zum Gott!
Laßt mich allein, so bleib ich
ungeschoren!
Mein Dasein wird sich nicht
dadurch verschlimmern,
Mag sich auch Niemand mehr um
mich bekümmern,
Am Ende ist an Keinem viel
verloren!
Zusammenhalten können doch nur
Thoren,
Die kaum von weitem seh’n die
Wahrheit schimmern;
Wer Gold zu scheiden lernt von
falschen Glimmern,
Der hat von selbst sich
Einsamkeit erkoren.
Ich kenne sie, die hohen
Sonnenziele,
Nach denen ihr mit so viel
Pathos rennt,
Und jeder kennt sie, der euch
selber kennt.
Schwatzt wie ihr wollt, betrügt
wo möglich viele,
Zuletzt geht doch der Esel in
die Mühle,
Und Kinder treiben doch nur
Kinderspiele.
August Italia und Germania
Brünette Schwester mit dem
vollen Tone,
Leih’ mir den Klang, der
deiner Lipp’ entquillt,
Der Toga Schwung, die deinen
Gang umhüllt
Zum Capitol, zur gold’nen
Lorbeerkrone!
Die eig’ne Weise lehrst du
deinem Sohne,
Die blendend strömt, von
Melodie erfüllt,
Holdschmachtend wallt und
majestätisch schwillt,
Zart im Sonett, stolz in der
Prachtkanzone!
Petrarka, Dante, Ariost, Ihr
Meister!
Und der zur Strenge höchsten
Reiz gepaart,
Torquato Tasso, edelste der
Geister!
Bescheiden folg’ ich euch in
meiner Art,
Und such’ ich eure Weise wohl
zu fassen,
Vom deutschen Wesen will ich
doch nicht lassen!
Die Heuchelei hat dich zu Tod’
gehetzt,
Weil du gestrebt die Wahrheit
zu ergründen,
Gewagt, der Welt den wahren
Gott zu künden,
An Götzen-Klötzen nimmer dich
ergötzt.
ein ehern Bild hat man dir
zwar gesetzt,
Von deinem Geist ist leider
nichts zu finden,
Die Frommen führen heute noch
die Blinden
Und lebtest du, dir ging es
schlimmer jetzt.
Die strengste Göttin, der du
dich geweiht,
Wer frägt nach ihr, in dieser
feilen Zeit,
Die Götzen wieder ihren Thron
verleiht.
Du schlugst, Alcid’, dem Einen
um die Ohren,
Die Hydra wuchs, heut wärest
du verloren,
Statt einem giebt es tausend
Hauptpastoren.
Hoch über mir durch Millionen
Blüten
In Lindenwipfeln, die im
Spätroth loh’n,
Klingt Bienensummen dumpf wie Orgelton,
Noch sammeln emsig, die am Tag
sich mühten.
Dem innern Triebe läßt sich
nicht gebieten,
Sank auch die goldne Sonne
tiefer schon
Und mag die Nacht mit tiefem
Dunkel droh’n,
Den Morgen grüßt der Fleiß,
den neu erglühten.
Ich will wie ihr nicht nach
den Zeiten fragen
Und was mein Schicksal spät
mir aufgetragen,
Erfüllen männlich, rastlos,
ohne Zagen.
Der innre Trieb muß jede Müh’
versüßen,
Darf schaffend noch die
Stunden ich begrüßen,
Wo Nacht und Morgen in
einander fließen.
Wie ekelt mich der Menschen
schaales Treiben,
Die Jagt nach Geld und der
gemeine Neid,
Das Laster in der Tugend
Ehrenkleid,
Der Mode Wahnsinn, nimmer zu
beschreiben.
O nimm mich auf und laß bei
dir mich bleiben,
Natur, du einzig wahr zu jeder
Zeit,
Du hast den Balsam für das
tiefe Leid,
Das dieser Erde Güter nur
betäuben.
An deinen Mutterbusen will ich
sinken,
Mich betten tief in deinen
Blumenschooß,
Und schlafen süß in seiner
heil’gen Stille.
Dein müdes Kind, laß mich
Vergessen trinken,
Und wach’ ich auf zu neuem
Lebensloos,
In deiner Hand laß ich die
morsche Hülle.
Ich stand auf hohem Berge; mir
zu Füßen
Sah ich nur dämmernd noch das
flache Land,
Den breiten Strom, ein
schmales Silberband,
In Schlangenwindung nach dem
Thale fließen.
Weit aus der Tiefe kam ein
Glockengrüßen
So heimathlich und doch so
unbekannt,
Ein Fremdling schien ich mir,
von Haus verbannt,
Voll Sehnsucht nach der
Heimath, nach der süßen!
Mein Auge irrte wie in wachem
Traum
Aus Himmelsferne zu der Erde
Raum,
Wie klein, wie eng schien
Alles, kaum zu sehen.
So siehst du einst, mein
Geist, von ew’gen Höhen,
Erfüllte Sehnsucht in
verklärter Brust,
Tief unter dir der Erde Leid
und Lust.
An der Nahe
Dort unter Weiden, an der
dunkeln Stelle,
Wo wild die Nahe über Felsen
schießt,
Und Well’ in Welle schäumend
sich ergießt,
Da sitz’ ich oft in letzter
Abendhelle.
Ich seh’ den Strom, doch kenn’
ich nicht die Quelle!
Das Leben ist’s, das so
vorüberfließt,
Durch Ufer bald, wo
Blumenfülle sprießt,
Durch öde Felsen dann, als ging’s
zur Hölle!
Wo ist das Meer, in das wir
uns ergießen,
Den letzten Sonnenaufgang zu
begrüßen?
Führt uns der Zufall oder
ew’ger Wille?
Mein Geist versinkt in
unaussprechlich Sinnen,
Der Wasser Tosen wird zur
Grabesstille,
Und Well’ und Leben fliehen stumm
von hinnen.
Noch schläfst du, Riesin,
prachtvoll hingestreckt
Auf des Tyrannen Sarge,
Marmornacht!
Wie dir bestimmt, versteinert,
unerwacht,
So lang der Knechtschaft
Schach dein Land befleckt.
Du hast dich wohl im tiefen
Schlaf gereckt,
Noch unbewußt gefühlt der
Glieder Macht,
Gar an den Morgen träumend
schon gedacht,
Der einst dich doch zu heller
Freiheit weckt.
Dein Vaterland! wird es sich
endlich finden?
Der Morgen graut, des Wächters
Stimme ruft,
Rom und Venedig soll dein Volk
befreien!
Dann wird der Schlaf von
deinen Wimpern schwinden,
Dann steigst du, Nacht, aus
dunkler Fürstengruft,
Der Freiheit Tag dem Volke zu
verleihen.
September Deutsches Sonett
Sonett, ich liebe deine
vierzehn Zeilen!
Ein Rahmen nicht zu schmal und
nicht zu weit,
Ein zierlich knapp gefaßt
Gedankenkleid,
Sie einzukleiden, eh sie nackt
enteilen!
Wer Glanz und Schmuck liebt,
mag dich tändelnd feilen
Und glätten bis zur
Ueberzierlichkeit;
Dem Haß zu dienen bist du auch
bereit,
Ein Nessuskleid mit
giftgetränkten Pfeilen.
Zwar hat mein Volk nicht deine
Form erfunden,
So wenig wie Homer’s
Heroenschritt,
Erobert beide hat der deutsche
Geist.
Nie hat er an die Scholle sich
gebunden,
Wo immer Schönes, er
empfindet’s mit,
Deutsch ist ihm Alles, was
vortrefflich heißt.
November Eitelkeit
Du nennst mich eitel – und
hast Recht, mein Kind!
Wer ist’s denn nicht? Doch die
am allermeisten,
Die’s gar nicht sein zu wollen
sich erdreisten,
So eitel, eitel nicht zu
scheinen, sind.
Den Tüchtigen macht Eitelkeit
nicht blind,
Und weiß er auch, was er
vermag zu leisten,
Er kritisirt sich selber doch
am frei’sten
Und echten Tadel schlägt er
nicht in Wind.
Doch immer nur und ewig Demuth
heucheln,
Bescheid’ne
Selbstvergessenheit erlügen,
Gesenkten Auges, händefaltend
ruhn –
Damit mag einer wohl dem
andern schmeicheln
Und den gemeinen Haufen schlau
betrügen –
Ein braver Kerl wird’s nun und
nimmer thun!
Dezember Schlesische Schule
Opitz und Logau!
Deutsche Dichterahne!
Des Schlesiersanges
Dioskurenpaar,
Gemüthlich mannhaft,
unbefangen wahr,
Ich schlage mich zu eurer
Landesfahne!
Dem deutschen Wesen bracht ihr
frische Bahne,
Was ihr gedacht, das sangt ihr
rein und klar;
Von fränk’schem Schnörkelputze
baar,
Befreit ihr Volk und Wort vom
fremden Wahne!
Landsleute ihr! euch bin ich
stammverwandt!
Da wo die Oder wallt, ein
Silberband,
Das Masten trägt bis an der
Ostsee Strand,
Und Riesen stehn in Berge
starr gebannt,
Wo ich zuerst des Lebens Reiz
empfand,
Du Schlesien, bist auch mein
Vaterland.
Ihr meint, mein Rock sei ein
zu abgeschabter,
Ich könne ihn nicht mehr mit
Anstand tragen!
Bin ich nicht selber alt und
so zu sagen
Ein Kittel, so ein allzulang
gehabter?
Einst war ich auch ein
Jüngling, ein begabter,
Mit Jedem durft’ ich’s
aufzunehmen wagen,
Ein junges Roß, bereit wie
weit zu jagen,
Nun alter Gaul, ein lahmer,
übertrabter!
So laßt mir auch den alten, treuen
Flaus!
Den Rock nicht nur, den Leib
zieh’ bald ich aus
Und walle kleidlos in des
Vaters Haus.
Dort find’ ich sie, die mir
vorangegangen,
Sie küssen mir die Thränen von
den Wangen
Und ewig Feierkleid werd ich
empfangen!
Das wirre Räthsel, was wir
Leben nennen,
Wie unauflöslich scheint es
ganz und gar!
Zu lernen nur, was recht und
gut und wahr,
Wie schwer ist’s eh’ sich Leib
und Seele trennen.
Und zum Vollbringen ach! ist
vom Erkennen
Der Schritt noch schwerer, als
die Einsicht war,
Die Kräfte nehmen ab von Jahr
zu Jahr,
Es flieht das Ziel, je mehr
wir danach rennen.
Die hohe Meinung, die wir
sonst wohl hegten,
Die Eitelkeit, die wir so
gerne pflegten
Sie weicht der Demuth und der
echten Kunde.
Ja, wir bekennen tief aus Herzensgrunde,
Der Gottesspruch trifft doch
allein das Rechte:
„Wir sind und bleiben nur
unnütze Knechte!“